Wilhelm Nicolai

Wilhelm Nicolai ist der Vater meiner „Stief“großmutter Hedwig Nicolai (1885 – 1963). In Hedwigs Geburtsurkunde (02. Juli 1885, Ruhland) ist als Beruf des Vaters „Lokführer“ vermerkt. Als Hedwig am 02. Juli 1907 meinen Großvater Hermann Vogel in Grunewald heiratete, war ihr Vater Trauzeuge. Als Beruf wird „Eisenbahnbetriebswerkmeister“ angegeben.

Offensichtlich wurde Wilhelm Nicolai zwischen 1885 und 1907 von Ruhland nach Grunewald versetzt. Danach soll sein Weg über Ilsenburg nach Bad Harzburg geführt haben, wo er Stationsvorsteher gewesen sei. Soweit die Familienüberlieferung.

Die Fakten dahinter: Ruhland liegt an der Strecke Cottbus – Großenhain, die am 20. April 1870 eröffnet wurde. Am 1. September 1883 wurde der preußische Staat Eigentümer der Strecke. Am 1. Juni 1874 wurde die Strecke Kohlfurt (Wegliniec) – Horka – Ruhland eröffnet. Ruhland war damit ein wichtiger Knotenpunkt im preußischen Eisenbahnnetz mit direkter Verbindung nach Breslau, Magdeburg, Cottbus und Dresden. Einen Gleisplan des Bahnhofs Ruhland findet man hier. Ob die zum Bahnbetriebswerk (Bw) Senftenberg gehörende Einsatzstelle Ruhland bereits 1885 bestand, muss ich noch offen lassen …

1907 wohnte Wilhelm Nicolai in Grunewald, Bahnhofstraße 2 (am 04.11.1935 umbenannt in Werkstättenweg). Grunewald war damals eine selbständige Gemeinde, die Eingemeindung nach Berlin erfolgte erst 1920. Der Bahnhof war seit der Eröffnung im Jahre 1873 ein wichtiger Verschiebe- und Güterbahnhof. Der Gleisplan weist den Eisenbahnfan auf die immense Bedeutung hin. Zu einem Güter- und Verschiebebahnhof gehörten oft auch ein Bw sowie ein Bahnbetriebswagenwerk (Bww). Das Bww ist im Gleisplan leicht zu identifizieren. Zur Geschichte des Bw Grunewald gibt es im Internet immerhin eine Zeittafel. Wahrscheinlich war Wilhelm Nicolai in Grunewald auch als Lokführer tätig. – Es muss ein Leben voller Gegensätze gewesen sein: Einerseits die Bahnhofstraße, eingezwängt zwischen den Eisenbahngleisen, andererseits die Villenkolonie Grunewald gleich hinter den Bahngleisen. Ein Ausschnitt aus dem Berliner Stadtplan von 1926 zeigt das recht deutlich …

Zwischen 1908 und 1911 ist Wilhelm in den Berliner Adressbüchern unter der Adresse Lückstraße 56 zu finden. Es liegt nahe, dass er in dieser Zeit im Bahnbetriebswerk Lichtenberg oder im Betriebswerk Rummelsburg gearbeitet haben könnte. Im Berliner Adressbuch von 1912 habe ich ihn trotz intensiven Suchens nicht mehr finden können …

Einen möglichen Wechsel der Familie Nicolai nach Ilsenburg kann ich nicht richtig einordnen. Der Bahnhof Ilsenburg war wahrscheinlich nicht von besonderer betrieblicher Bedeutung. Es kann aber sein, dass die ansässigen Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie einen umfangreichen Anschlussbahnbetrieb erforderten. Ob ein Lokführer hier sein Auskommen hatte, wage ich zu bezweifeln. Aber: Halberstadt war mit der Eisenbahn gut erreichbar und hatte ein sehr großes Bahnbetriebswerk … Das Bw Halberstadt war mit Sicherheit größer als das in Grunewald und damit einher könnte für Wilhelm Nicolai auch ein „Aufstieg“ in der Verantwortlichkeit gegangen sein.

Wilhelm Nicolai könnte am Ende seines Berufslebens durchaus in Bad Harzburg gearbeitet haben. Der Bahnhof von Bad Harzburg ist ein sogenannter Kopfbahnhof, auch hier gab es ein Bw. Wenn Wilhelm selbst nicht mehr aktiv als Lokführer gefahren ist, so gibt es doch in einem Bw immer genug Tätigkeiten, die die Kenntnisse eines erfahrenen Lokführers erfordern. Einen Laufbahnwechsel in den Verwaltungsdienst, z.B. als Bahnhofsvorsteher halte ich mit ziemlicher Sicherheit für ausgeschlossen. Aber Vorsteher eines kleinen Bahnbetriebswerkes ist für mich durchaus im Bereich des Möglichen …

Wilhelm Nicolai war während seiner gesamten Berufstätigkeit Angestellter der Königlich-Preußischen Staatseisenbahnen. Die Gründung der Deutschen Reichsbahn fand erst 1924 statt. Da war Wilhelm bestimmt schon im Ruhestand. Eine Rekonstruktion des beruflichen Lebensweges ist wahrscheinlich sehr schwierig bzw. unmöglich. Es war bei den preußischen Eisenbahnen üblich, Personalunterlagen nur bis zehn Jahre nach dem Ableben des Beschäftigten aufzubewahren. Danach wurden sie vernichtet.

Schwer nachzuvollziehen sind die Dienstränge der Preußischen Staatseisenbahnen vor Gründung der Deutschen Reichsbahn. Eine „richtige“ Dienstkleiderordnung gab es wohl erst 1924: DKO 1924. Hieraus kann man aber immerhin ableiten, dass ein Lokführer und ein Betriebswerkmeister der gleichen Besoldungsgruppe angehörten.

Bei meinem gegenwärtigen Kenntnisstand über die Familie Nicolai sollte ich vielleicht eher davon ausgehen, dass es einen Umzug nach Ilsenburg oder Bad Harzburg nicht gegeben hat … Auch diese Vermutung werde ich bei Gelegenheit überprüfen.